11.06.2014

Beweis des ersten Anscheins (Anscheinsbeweis) beim Auffahrunfall kann zur Alleinhaftung des auffahrenden Kfz führen

Zur Erschütterung des regelmäßig zur Alleinhaftung führenden Anscheinsbeweises beim Auffahrunfall.

(Vergleiche OLG München, Urteil vom 14.02.2014, Az. 14 U 3074/13)

 

Bei einem Auffahrunfall haftet der auffahrende Verkehrsteilnehmer im Regelfall alleine und in voller Höhe, denn der Lebenssachverhalt einer typischen Auffahrkollision indiziert als zunächst alleinige Unfallursache einen im Verhältnis zur gefahrenen Geschwindigkeit zu geringen Sicherheitsabstand und/oder Unaufmerksamkeit des auffahrenden Verkehrsteilnehmers. Dieser Beweis des ersten Anscheins wird jedoch erschüttert, wenn der auffahrende Verkehrsteilnehmer konkrete Umstände darlegt und beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines hiervon abweichenden, atypischen Unfallgeschehens ergibt. Solche Umstände können etwa ein unvorhersehbares, plötzliches und starkes Abbremsen oder eine unvermittelte starke Verzögerung des vorausfahrenden Fahrzeugs z.B. durch eine Kollision oder ein Abwürgen des Motors sein. Es fehlt in einem solchen Falle an dem sonst zur Alleinhaftung des Auffahrenden führenden typischen Geschehensablauf, so dass dann die konkreten Verursachungsbeiträge der beteiligten Fahrzeuge zu prüfen sind.

 

Anmerkung:

Die Entscheidung des OLG München bestätigt den allgemeinen Grundsatz, dass der Anscheinsbeweis, wenn keine sonstigen Umstände vorliegen, die eine andere Bewertung erfordern, zur Alleinhaftung des Auffahrenden führt, dass aber gleichwohl die Auffahrkollision nicht zwangsläufig die Alleinhaftung des Auffahrenden bedeuten muss, wenn die sonst typischen Alleinverursachungsmerkmale der Unaufmerksamkeit und/oder des unzureichenden Sicherheitsabstandes in der konkreten Unfallsituation entkräftet werden können. Wichtig für den Auffahrenden ist hierbei jedoch, dass es nicht ausreicht irgendwelche (prinzipiell denkbaren) atypischen Umstände einfach zu behaupten. Der Auffahrende muss das Vorliegen dieser atypischen Umstände auch beweisen können. Es reicht also beispielsweise nicht aus zu erklären, der Vordermann habe unvermittelt und ohne zwingenden Grund eine Vollbremsung ausgeführt. Vielmehr muss der Auffahrende dieses starke Bremsmanöver des Vordermanns nachweisen können, wenn hierdurch der Anscheinsbeweis erschüttert werden soll. Die Erschütterung des Anscheinsbeweises führt auch nicht ohne Weiteres zum Wegfall der Haftung des Auffahrenden, sondern nur dazu, dass die jeweiligen Verursachungsbeiträge beider unfallbeteiligter Verkehrsteilnehmer in Form von Haftungsquoten gegeneinander abzuwägen sind.